Sonntag, 26. Januar 2014

♥ Eine kleine Geschichte Teil1

Es war bereits dunkel draußen, außerhalb der Häuser. So dunkel das man seine Hand kaum noch vor den Augen sehen konnte. Regen zog in langen, erbarmungslosen, kalten, Fäden vom Himmel und klatschte gegen die Fensterscheiben, Dachpfannen und alten Postkästen, die sorgfältig an den etlichen, dicht gedrängten Häusern der finsteren Straße standen. Sie sahen aus wie geheimnisvolle Wesen mit hell leuchtenden bösen Augen und einem fiesen Grinsen. Die Bürger des kleinen Dorfes Hoquiam verbargen sich in ihren Hütten, behütet und sicher vor dem Unwetter, das draußen tobte und wütete. Es regnete hier viel und man hatte sich schon lange damit abgefunden. Die meisten von ihnen starrten gebannt auf ihre Fernseher und schwiegen sich an. Die bunten tanzenden Bilder des einfallslosen Abendprogramms, meistens bestehend aus einer Quizshow oder einer Sitcom, erfüllten die winzigen verzierten Fenster. Niemand konnte sich vorstellen bei einem solchen Unwetter seine schützenden vier Wände zu verlassen und nach draußen zu gehen, in die Kälte und verschlungen werden von dem harten Regen. Nein, niemand hätte es auch nur gewagt aus dem Fenster zu sehen und einfach nur der Natur ihren Lauf zu lassen. So bemerkte auch niemand, nicht ein einziger, die dunkle Gestalt die langsam und bedächtig, mit schleppenden Schritten, die Straße entlang schlich und ein kleines Bündel umklammerte.
Eine junge Frau, eingewickelt in alte Decken mit ihrem kleinen Kind. Schützend hielt sie es in ihren Armen.  Sie ließ den Regen auf ihr Hauptschlagen und irrte mit hilflosem Blick in den schönen dunkelvioletten Augen umher. Das kleine Kind weinte und wimmerte jämmerlich und zerriss so die vermeintliche Ruhe. Die Frau schien etwas zu suchen, denn ihr Blick sprang hin und her und blieb angestrengt an den Holzhäusern hängen. Auf Barfuß wanderte sie nach links und rechts und versuchte die Namen auf den Klingelschildern der Leute, die in hübscher geschwungener Schrift neben den Türen prangten, zu entziffern. In der Hoffnung nicht entdeckt zu werden und in Sicherheit zu sein näherte sie sich nur langsam und vorsichtig. Doch sie hätte sorglos sein können. An diesem Abend wäre sie von niemandem gesehen worden. Und auch sonst hätte ihr wahrscheinlich keiner Beachtung geschenkt, ohne einen wirklich triftigen Grund zu haben. Unbeholfen und ohne ein genaues Ziel oder eine Vorstellung suchte sie weiter. Sie ging von Haus zu Haus. Als würde sie etwas kontrollieren. Vielleicht um Einzubrechen, die friedliche Vorstadtidylle zu zerstören?  In einer fremden Sprache flüsterte sie immer wieder beruhigende Worte zu ihrem Kind, doch es wollte und wollte nicht aufhören zu schreien. Vielleicht ahnte das kleine Wesen was seine Mutter vorhatte.
Lange lief sie umher und ihre Schritte wurden immer schneller und entschlossener, sie würde niemals aufhören zu suchen, niemals! Und dann blieb sie plötzlich stehen. Ihre Augen wurden klar und hell und ein schwermütiges lächeln zeichnete sich auf den schmalen blassen Lippen ab. Ganz langsam nahm sie die schmutzige Decke von ihren schmalen Schultern und wickelte ihr Kind hinein. Sie stand vor einem hohen Zaun. Ein Hindernis? Sie ging an dem kunstvoll geschwungenen Gitter entlang und blieb vor einem Tor stehen. Es war gepflastert mit, ihr fremden, Gerätschaften und Kabeln und blinkte wild und bedrohlich. Doch es schien als interessiere sich die junge Frau nur für die andere Seite. Denn dort lag ein Haus. Groß, aus schweren Backsteinen gefertigt, mit vielen Fenstern, umgeben von Blumen und Bäumen. Anders als die Holzhütten. Der Hausherr musste reich sein, dachte sie. Er würde sich sicherlich gut um ihr Kind kümmern können, denn sie  konnte es nicht. Nicht mehr. Dort wo sie her kam war es zu gefährlich für ihre Tochter. Da gab es Gefahren. Überall! Sie würde auf Wiedersehen sagen müssen. Für immer. Aber war das denn nicht besser? Besser als bei ihr zu sein und nichts zu haben? Ja, das war besser. Ganz bestimmt. Das kleine Kind, ein Mädchen, schlief. Endlich! Ihr dunkelrotes, noch kurzes Haar hing struppig in ihrem zierlichen Gesicht. Die Frau sah auf ihre Tochter, strich über ihre zarte junge Haut. Wie erstarrt stand sie da. 
Die Nacht machte die Menschen langsam müde und trug sie sanft zu Bett. Die letzten Lichter, die die Dunkelheit auf die Knie gezwungen hatten gingen aus und auch der Regen ließ nach. Stille überrollte das kleine Dorf. Nur in der Ferne war das Geräusch einer Sirene zu hören. Doch auch das verschwand.

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